Hamlet

Module für Ordnung

Datum
8. April 2019 - 19. Mai 2019

Eröffnung: 7. April 2019, 14–18 Uhr

Partizipierende
Beschreibung

Module für Ordnung bringt zwei Künstler zusammen, die sich auf den ersten Blick nichts weiter zu sagen haben, als dass sie innerhalb von Rechtecken malen. Bei näherer Betrachtung finden sich aber motivische Ähnlichkeiten, formale Verarbeitungen und - absichtliche und unabsichtliche - Bezüge, deren Nähe zueinander nicht abzuerkennen ist. Geradlinige, mit äusserster Präzision und langwierig geschaffene Arbeiten, mit ästhetischen und motivischen
Anlagen aus Comics, Graphic Novels und Computerspielen erhalten ein Gegenüber. Das Gegenüber ist informiert durch rasches, beinahe getrieben Anmutendes und auf günstigen und zugänglichen Materialien, deren Aneignung leicht zu fallen scheint, Aufgebrachtes. Es erinnert an Populärkultur und Zeichnungen im öffentlichen Raum und scheint trotz Ähnlichkeiten mit der anderen Position, doch so gar nichts mit ihr gemein zu haben. Dennoch weisen die Arbeiten von Kevin Aeschbacher und Ruven Stettler beide auf den Wunsch Ordnung zu schaffen hin: Ordnung in der Wahrnehmung und in der Verarbeitung des Wahrgenommenen, Ordnung in Erzählungen, Anektoden und Geschichten. Fragen nach dem Wahrheitsgehalt der als eigen empfundenen Realitäten, der eigenen Lebensumstände und denen anderer, sowie der Aneignung und Weitergabe dieser,
ziehen sich durch die Ausstellung in der der Versuch unternommen wird ein klein wenig Ordnung zu schaffen.

  • Clifford E. Bruckmann

Pareidolie nennt sich das Phänomen, das besagt, dass das menschliche Gehirn darauf ausgerichtet ist ein menschliches Gesicht auch dort zu erkennen, wo eigentlich keines ist. Verantwortlich dafür ist die Autovervollständigung in unserem Gehirn, die versucht alle Eindrücke unserer Umwelt wiederzukennen und so schneller einordnen zu können. Was nun, wenn sich etwas zwischen gedachter Erinnerung und fiktiver Abstraktion – jenseits einer bestimmbaren Zuordnung – befindet? In diesem Spannungsfeld vermeintlicher Orientierungslosigkeit, zwischen Bekanntem und Fremden, sowie Erkennen und sich verlieren eröffnet sich dem_der
Betrachterin das Werk von Kevin Aeschbacher. Seine Arbeiten zeigen jenen ort- und zeitlosen Raum, der sich bewusst einer klaren Bestimmung entzieht. Nur die perspektivische Anordnung oder die dunklen Schattenwürfe lassen eine Distinktion zwischen Vorder-
und Hintergrund zu und eine Raumtiefe erahnen. Und wenn naturgetreue Landschaften im Hintergrund zu erkennen sind oder vertraute Materialien sich über die Leinwandfläche ziehen, dann nur um gleichermassen wieder verfremdet und entrückt zu werden. Dieses transformatorische Potenzial wird durch die zwischen analog
und digital changierende Bildsprache ermöglicht, wobei zwei- und dreidimensionale Visualisierungen genauso Eingang finden wie das physische Auftragen von Öl- und Acrylfarbe. Indem Aeschbacher digitale in nicht-digitale Ausdrucksformen übersetzt und umgekehrt, verwischt er die gewohnte Grenze zwischen natürlichen und künstlichen, realen und virtuellen Formen. Dabei versteht er das
Medium mit dem er arbeitet nicht als gefestigte Körper, sondern vielmehr als liquide, ambivalente Bausteine, die das Sehen und Gesehene bewusst herausfordern. Dadurch, dass man in den im Raum platzierten Skulpturen eine bekannte Landschaft oder in der violetten, von der Schwerkraft heruntergezogenen Masse ein Gesicht zu erkennen glaubt – im Wissen um deren Zufälligkeit – führt Aeschbacher dem_der Betrachter:in die Bedingtheit der eigenen Wahrnehmung vor Augen. Doch gerade weil in dieser Bedingtheit jede Frage nach Realität obsolet erscheint – letztlich sind alle Eindrücke Konsequenz elektrischer und chemischer Signale in unserem Gehirn – wird der_die Betrachter:in in eine labile
Wirklichkeit eingelassen, die sowohl real als auch virtuell zugleich ist.
Ursprünglich von der Malerei herkommend, erweitert Ruven Stettler in Module für Ordnung seine künstlerische Praxis um neu entstandene, skulpturale Arbeiten, die erstmals neben einer Auswahl von Arbeiten auf Papiergezeigt werden. Formal scheinen die Skulpturen eine Gegenposition zu den Papierarbeiten einzunehmen, zumal die Spur der Hand, die in der Bildserie durch das expressive Auftragen der Farben zum Ausdruck kommt, in den Skulpturen durch das indirekte Gussverfahren bewusst invertiert wird. Zudem wird durch das Setzen einer Rahmenordnung – das Gewicht der Skulpturen wurde zu Beginn als eine von 1 bis 10 Kilogramm aufsteigende Reihe fixiert – der künstlerische Handlungsspielraum eingegrenzt. Obwohl Stettler eine scheinbar numerische
Ordnung zu schaffen versucht, interessiert ihn nicht die Ordnung selbst, sondern ihre Auflösung. Dennoch agiert er innerhalb seines eigens gesetzten Rahmens, um aus diesem heraus das Zufällige in der Ordnung zu entlarven. So bildet nicht das Schöne und Geordnete, sondern das chaotische Unstimmige und Vielfältige das
Wesen seines Schaffens. Diese Diversität spiegelt sich auch in der Mannigfaltigkeit der vom Künstler bedienter Materialen: Öl- und
Acrylfarben, Kreide, Kohlestifte und Edding finden sich neben Leimspuren, Pigmenten und glänzenden Lackstellen. Ähnlich zu den Skulpturen bildet auch hier ein gemeinsames Merkmal – alle Arbeiten wurden auf gleichformatigen Papieren gemalt – die scheinbare Ordnung, bevor diese gebrochen wird und die Bilder in
neuer Anordnung gezeigt werden. Für diese Ausstellung wurden die Bilder auf verschiedenen Materialen für den Bau, Bezug und Unterhalt eines Eigenheims wie unter anderem Filz, Luftpolsterfolie und Styropor angebracht. Das Display, als sowohl verbindendes, installatives wie auch modulares Element, stellt sich als stilistische Erweiterung tradierten Ausstellungsformaten entgegen. Es ist ein experimenteller Umgang mit Beliebigkeit und Gesetzmässigkeit, der die Werke jeweils aufs Neue erweitert und die Grenzen zwischen Werk und Display aufweichen lässt. Hier wird erkennbar wie Stettler die in seinem Schaffen zugrundeliegende Auseinandersetzung formbildender Strukturen, denen er sich von der Gesetzmässigkeit zur Form und von der Form zur Gesetzmässigkeit annähert,
im Display wieder aufnimmt. Doch es ist nicht die Suche nach einer übergeordneten Struktur, sondern deren Freilegung im Brechen mit dieser, die sein Schaffen prägt. Diese Suche nach Unstimmigkeit, wie es Stettler nennt, wird nicht in den einzelnen Werken sichtbar, sondern vor allem dann, wenn diese zur Raumfolge installiert durchschritten werden: Dabei eröffnet sich dem_der Betrachter
in ein vielfältiges Werk, das sich stetig neu zusammensetzt und weiterentwickelt.

  • Céline Matter
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